Jürgen Hobrecht Logbuch

Trauer um Ernst Klee

Historiker Ernst Klee gestorben
geb. 15.3.1942 gest. 18.5.2013

Der Historiker, Sozialpädagoge und Theologe Ernst Klee ist tot. Wie der S. Fischer Verlag am Samstag mitteilte, starb Klee nach langer schwerer Krankheit mit 71 Jahren in seiner Frankfurter Wohnung.
Jahrzehntelang kämpfte Klee als Forscher für die Aufarbeitung der NS-Zeit. Nüchtern und akribisch setzte er sich vor allem mit den Gräueltaten an Behinderten und seelisch Kranken im Nationalsozialismus auseinander.
Internationales Renommee erwarb sich Klee bereits 1983 mit seinem Buch „Euthanasie im NS-Staat. Die Vernichtung lebensunwerten Lebens“, in dem er bis dahin weitgehend unbekanntes Archivmaterial zu diesem Themenkomplex erschloss. 1997 erschien sein Buch „Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer“, das die Rolle der Medizin in der Zeit beleuchtet. Es beschreibt unter anderem die Experimente, die Ärzte im Namen der medizinischen Forschung an wehrlosen Menschen vornahmen. (Quelle Spiegel-online 18.5.13)

Eine persönliche Erinnerung…

Frankfurt/ M. im Juni 1975. Die Messehalle des Evangelischen Kirchentages ist proppenvoll. Auf der Bühne steht ein hochgewachsener Mittdreißiger, Lockenkopf, offenes Hemd, ausgetretene Latschen an den nackten Füßen. Ohne Redemanuskript sagt der Mann Sätze, die ich, damals 18, noch nie gehört hatte. Er redet von entwürdigenden Zuständen in Behindertenheimen. Er beschreibt unseren Alltag klar nüchtern und ungeschminkt. Am Tag zuvor war ich im Gepäckwagen der Deutschen Bundesbahn angereist und noch zornig darüber. Seine Botschaft: Duckt euch nicht, lasst euch nicht demütigen, fordert Eure Rechte. Damals eine Offenbarung für mich. Ich sprach ihn nach der Veranstaltung an, zögernd erst, dann immer offener, weil er unkompliziert, freundlich und locker war. Es begann ein Kontakt, der mein Leben verändern sollte. Münster, 1977. Ernst Klee hält einen Vortrag an der FOS Sozialpädagogik, die ich damals besuchte. Ich fahre ihn anschließend zum Bahnhof und erzähle ihm eine Geschichte, von der ich hoffte, er könne sie für seinen Behindertenreport II gebrauchen. Das Buch sei fertig sagte er. „Aber mach doch eine Radiosendung daraus.“ Er gab mir die Telefonnummer des Redakteurs der „Radiothek“, der damals schon legendären Jugendsendung im WDR. Ich war völlig baff und habe die Sendung dann zögernd gemacht. Das war der Anfang meiner inzwischen 30-jährigen Arbeit als Autor.

Ernst Klee hat für viele Behinderte das Fenster zum Leben aufgemacht. Frische Luft kam rein in muffige Buden, die durch Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle verpestet waren.
Klee begann in einer Zeit als Buchtitel die Frage stellten „Können, dürfen, sollen Behinderte heiraten?“
Er hat in den 70er Jahren maßgeblich das Bewusstsein dafür geweckt, dass man gleichwertig ist und auch so behandelt werden will. Dass die Presse ihn dafür zum „Behindertenpabst“ ernannte, machte all die schmunzeln, die ihn erlebt haben. So ganz unpäbstlich, entsprach der nur in einem dem Mönch-Motto „bete und arbeite“: Er hat gearbeitet, bis zum Umfallen. Die Menge an Material, die er auf seinem Schreibtisch zu Texten und Büchern verarbeitete war unglaublich.

Vorbild für viele war der Volkshochschul-Kurs „Bewältigung der Umwelt“ in Frankfurt unter seiner Leitung. Ernst hatte es mit dem verstorbenen Gusti Steiner geschafft, Missstände in Aktionen und Bilder umzusetzen und sie dadurch zu ändern. Unvergessen die Fernsehbilder: Gusti Steiner angekettet an eine Straßenbahn in der Frankfurter City. Einer ruft: „Stellt doch ein MG auf, dann sind sie weg.“ Ich habe das Jahre später in Münster bei einer Blockade selbst gehört. Solche Sätze verändern einen Menschen.

Ernst Klee hat es vermocht Momente eines „Wir-Gefühls“ zu schaffen, unter Menschen, die die Umwelt als invalid ansieht und die sich, als Reflex darauf, gelegentlich selbst so wahrnehmen. 1980 hatte ein schrecklicher Jurist am Frankfurter Landgericht einer Frau Schadensersatz zugesprochen. Sie hatte erfolgreich gegen die Anwesenheit von Behinderten im Urlaubshotel geklagt. Das führte, mit 5.000 Teilnehmern, zur größten Demonstration von Behinderten in der Geschichte der Bundesrepublik.

1983 erschien sein Buch „Euthanasie im NS-Staat.“ Eine unglaubliche Fleißarbeit, mit der sich der gelernte Heizungsbauer, der Abitur auf dem 2. Bildungsweg machte und dann Sozialpädagogik studierte, sich als Historiker profilierte. „Euthanasie im NS-Staat“ ist und bleibt das Standardwerk zum Behinderten-und Krankenmord der Nazis. Das Buch hat mich schlagartig spüren lassen, was rational natürlich klar war: Die Nazi-Ärzte, die den Gashahn aufdrehten, meinten Menschen wie mich. Diese Einsicht bestimmt mein Verhältnis zu meiner nichtbehinderten Umwelt, besonders zur Medizin, bis heute.
Ich habe Ernst Klee vor vielen Jahren das letzte Mal gesehen. Wir saßen in einem Münchner Restaurant und scherzten viel. Auch das ging mit ihm. Zum Abschied sagte er: „Melde Dich“. Ich habe es nicht getan. Nun ist er tot.
Nur wenigen Menschen verdanke ich so viele Anstöße für ein unabhängiges Leben, wie ihm. Das gilt nicht nur für mich.

Mai 19, 2013 Posted by | Uncategorized | , , , , | 1 Kommentar

Kein Flug nach LA

Mein Freund Mustafa aus Jenin, Palästina,   hat ein Stipendium an der University of Cal. in Los Angeles bekommen. Die Nachricht elektrisiert mich. Wir haben uns vor zwei Jahren in Herdecke kennengelernt, wo er einen Forschungsauftrag an der Uni Witten-Herdecke hatte.

Seither haben wir nur gemailt und über skype Kontakt gehabt. Zeit, sich mal wieder zu sehen.
Nach Palästina zu reisen, ist es umständlicher, als nach Los Angeles. Im Nahen Osten gibt es keine Auto für Rollstuhlfahrer, Also bin ich auf Taxen angewiesen. Der Flug dorthin geht über Amman. Das bedeutet zweimal umsteigen. Auch kompliziert. Ich bin deshalb immer mit dem Auto in den Nahen Osten gefahren. Aber seit 2001 gibt es keine Schiffsverbindung mehr, ab Piräus. Also: 1 Woche im Auto. Soviel Zeit hatte ich in den letzten Jahren nicht.

Nach LA hingegen gibt es non stop Flüge und in den USA kann ich mir die behindertengerechte Zusatzausrüstung sogar aussuchen. „Handcontroll left, or right?“ ist die routinierte Frage des Autovermieters. Die Flüge sind günstig, ab 460€ kommt man hin und zurück. Da ich beim Internetbuchen  nicht eingeben kann, dass ich Rollstuhlfahrer bin, fahre ich nach Tegel, um meinen Reiseplan voranzutreiben. Weiterlesen

Juni 15, 2009 Posted by | Mobilität | , , , , | 1 Kommentar